Der Menschenliebe Macht
Das Ende ist der Anfang. Ein Herrscher zeigt, von Huldigungsklängen in strahlendem Dur begleitet, göttergleiche Milde und vergibt seinen Verschwörern, erst dem in sich zusammengesunkenen Sesto, dann der auch jetzt noch stolzen Vitellia. In Mozarts (vorgeblicher) Krönungsoper «La clemenza di Tito» ist es nach etlichen Irrungen, Wirrungen (und Falschmeldungen) die Konklusion, ein seria-typisches lieto fine. In Milo Raus Antwerpener Inszenierung bildet dies den Beginn einer Geschichte, die sich mit Mozart eigentlich nur noch am Rande beschäftigt.
Die Oper als Material für eine politische Erzählung, in der es um falsch ausgeübte Macht geht, um westliche Kolonalisierung und ihre Folgen, um das Schicksal nicht nur ganzer Völker, sondern zudem einzelner Menschen. Man kennt dergleichen moralisch fundiertes, politisch ambitioniertes Reenactment aus vielen Arbeiten dieses Regisseurs; der feine Unterschied besteht darin, dass er hier einen Stoff vorfindet, der sich zunächst heftig gegen solche Vereinnahmung und Umwertung wehrt.
Vor allem die Musik tut es, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Vermutlich war das der Grund für Rau, sie erst einmal zu dekonstruieren, sprich: sie ihres ...
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Opernwelt November 2023
Rubrik: Im Focus, Seite 26
von Jürgen Otten
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Es ist ein altes Lied im Opernkanon: Die Frau, die zu stark ist, wird entweder brutal ermordet, begeht Selbstmord, tanzt in den Wahnsinn oder löst sich anders tragisch auf. Was zu stark ist, muss zerstört werden, um die alte Ordnung wiederherzustellen. Und dies ist nicht das einzige Problem: Um den Ausstattungswert zu erhöhen, wird die Handlung oft in märchenhafter...
Das Bild besaß Symbolcharakter: Während der Ouvertüre zu Richard Wagners romantischer Oper «Lohengrin», die im Graben des Hessischen Staatstheaters bei der (szenisch leider völlig missglückten) Premiere ohnehin eher nach Verkrampfung als nach Verklärung klang, klemmte es irgendwo in der Soffitte und blieb das riesige schwarze Stofftuch zwischen Himmel und Erde...