Mal ehrlich September/Oktober 2017
Ich bin neulich beim Zappen in den Anfangsszenen irgendeines neuen «Don Giovanni» gelandet. Lang blieb ich nicht dabei, weil der Titelheld von einem dieser überfitten Baritone gesungen wurde – ich hatte einfach keine Lust darauf zu warten, dass er sich das Hemd vom Leib reißt. Don Giovanni hab ich mir nie eitel vorgestellt. Wenn man rund um die Uhr damit beschäftigt ist, Röcken nachzusteigen, hat man wohl kaum noch Energie für einen Marathon. Auch scheint er mir nicht der Typ zu sein, der aus Angst um seine Kohlehydratbilanz einen Topf Spaghetti verschmäht.
Da Ponte und Mozart haben ihn nicht als Bademodenmodel, sondern als verkommenen Adligen gezeichnet: Eher spült der die Pasta noch mit zwei Flaschen Primitivo runter. Da ist am nächsten Morgen dann garantiert kein Training drin.
Singende Muskelkerle sind inzwischen weit verbreitet, das riecht schon fast nach Klischee. Letztens hatten wir ein solches Sixpack in «Billy Budd». Nicht in der Hauptrolle, das war ein Sänger mit guter Durchschnittskondition. Doch zwischen den gut 80 (Chor-)Herren aller Größen und Unformen stach ein Typ mit knappstem Tanktop und literweise Babyöl auf dem Bizeps ins Auge wie ein Glassplitter. Im Ernst, er ...
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Opernwelt September/Oktober 2017
Rubrik: Aus dem Leben eines Taugenichts, Seite 101
von Christopher Gillett
Zu den Uraltklischees über Neue Musik gehört die Behauptung, sie sei hässlich, kalt, rein konstruiert: bloße Gehirnkunst, von Gehirnmenschen, nur etwas für seelenlose Wesen. Nun gehören zu bedeutender Kunst auch hohe Bewusstheit, Konzept, Kalkül, Präzision von Plan und Ausführung; und zum Kulturbetrieb Institutionen, Organisation und Management. Naturwüchsig...
Wer die Musiktheaterszene im Vereinigten Königreich verfolgt, weiß, dass zumindest ein Zweig der Branche kräftig austreibt: die «country house opera». Glyndebourne, das 1934 den Anfang machte, gibt bis heute den Ton an. Aber seit 1989 Garsington nachzog, haben allerhand andere Kompanien das Modell kopiert.
Dazu gehört auch die Grange Park Opera im Hampshire. Das...
Libertinage erlaubt: Selbst nach den strengen moralischen Grundsätzen des 18. Jahrhunderts dürfen sich der Diener Falkenstein und Caroline im Haus ihres Vaters, des reichen Kaufmanns Gerbrand, halbnackt zwischen den Teppichen vergnügen, sind sie doch bereits verheiratet. Das Problem ist nur: Außer ihnen weiß das (noch) niemand. Weil die Ehe nicht standesgemäß ist,...