Hingehört, durchschaut
Gaetano Donizettis «Poliuto» wurde 1838 in Neapel verboten, weil die Zensoren fanden, der Stoff habe auf einer weltlichen Bühne nichts verloren. Durchaus riskant, ein traditionell mit Champagner-Picknicks und dem Entertainment von Firmenkundschaft assoziiertes Opernfestival mit etwas so Schwerverdaulichem zu eröffnen. Der 1848 endlich uraufgeführte Dreiakter basiert auf Corneilles strengem Drama über das Martyrium des Heiligen Polyeuctos, einem zum Christentum konvertierten Soldaten griechischer Herkunft, der im 3. Jahrhundert in Armenien enthauptet wurde.
Schon Peter Sellars war 1996 in Glyndebourne mit einem anderen christlichen Stoff ein vergleichbares Wagnis eingegangen: Händels «Theodora», ein dramatisches Oratorium um die gleichnamige Märtyrerin, stellt öffentliche und private Dramen einander in ähnlicher Weise gegenüber wie «Poliuto». Und in dieser Saison steht den Festival-Ausflüglern auch noch Händels «Saul» in einer Inszenierung von Barrie Kosky bevor.
Mariame Clément setzt die musikalischen Ambivalenzen von Donizettis Partitur mit jenem Feingespür für die seelischen Abgründe augenscheinlich gutartiger Figuren in Szene, das sie bereits 2011 in ihrer Lesart von «Don ...
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Opernwelt Juli 2015
Rubrik: Panorama, Seite 39
von Anna Picard
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Das Wesentliche lässt sich nicht immer in Worte meißeln, Auslassungen sind auch in der Kunst nicht das Schlechteste. Drei rosa Punkte leuchten an der Fassade des Luzerner Theaters, das mit diesem Signet seinen 175. Geburtstag markiert. Die Pfiffigkeit, mit der gefeiert wird, ist bezeichnend dafür, wie der Intendant Dominique Mentha das Haus auf Vordermann gebracht...
Wie Ameisen auf der Haut fühlt sich diese Musik an. Ein fortwährendes Kribbeln, kaum zu lokalisieren zunächst. Dann plötzlich beißender Schmerz: jähe Präsenz und Wachheit. In «Written on Skin» entdeckt George Benjamin das Große im Kleinen, also braucht auch Otto Tausk am Pult keine wuchtige Geste: Oft sind es die scheinbar flüchtigen Momente, ein Vibrieren der...