Archäologie und Happening
In der 41. Minute passiert es dann doch. Das vorher ziemlich brave Ulmer Publikum revoltiert kurz, aber herzhaft. «Des isch kei Kunscht», brüllt eine enervierte Dame, die gleich darauf mit ihrem Begleiter polternd den Saal verlässt. Weitere Zwischenrufe folgen, es gibt größere Abwanderungsbewegungen. Schon erstaunlich, wie John Cage, dessen hundertsten Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, noch immer provoziert.
Dabei sind seine «Europeras» eigentlich ein schön verspieltes Experiment mit genialer Grundidee: Cage programmierte einen Zufallsgenerator, der bestimmt, wann reale Sänger welche Arien aus 400 Jahren Opernliteratur zu singen haben, wann ein Teil beginnt, wann er abrupt endet, wo sich die Dinge überlagern. Zu alledem kommen historische Aufnahmen, die von vier Plattenspielern wiedergegeben werden. Die Bediener dieser Geräte nennt Cage Komponisten, wohl weil sie ihre Einsätze selbst gestalten sollen.
Jede Aufführung ist völlig anders, fest steht nur die Gesamtzeit: «Europeras 3» dauert recht lange siebzig Minuten, «Europeras 4» ist nach exakt einer halben Stunde vorbei. Vom Zufall bestimmt sind auch Klangwolken per Zuspielband (das Cage selbst erstellt hat) sowie ins Publikum ...
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Opernwelt August 2012
Rubrik: Panorama, Seite 42
von Jörn Florian Fuchs
Bevor die Aufführung beginnt, liest der Besucher auf einer Schriftwand, dass sich das folgende Geschehen einige Jahre nach den in «Il trovatore» geschilderten Ereignissen begibt. Wie viele Jahre? Es müssen wohl 350 oder 400 vergangen sein, wenn ein Mann in Grau (Luna) das Foyer eines großräumigen Hauses mit mürb-roten Wänden betritt und von der Gastgeberin, einer...
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