Opernwelt September/Oktober 2005
Editorial
Im Focus
Gefühlsstau in der Warteschleife
Dass Marthaler-Menschen keineswegs immer gleich sind und auch auf der Opernbühne Sinn machen können, haben die Aufführungen von «Pelléas et Mélisande» in Frankfurt und Janáceks «Katja Kabanova» in Salzburg gezeigt: hellhörige, oft ironische, immer tiefe Deutungen, initiiert von Marthaler, inspiriert von Anna Viebrock. Die Zeichen standen also nicht schlecht für den neuen «Tristan» in Bayreuth. Die Premiere blieb zwiespältig – nicht zuletzt wegen eines ungenügenden Dirigats. Unser großer Wagner-Block auf den folgenden Seiten berichtet von Pierre Boulez’ letztem «Parsifal» sowie alten und neuen Erfahrungen bei den Bayreuther Festspielen, unterzieht historische Aufnahmen und Neueinspielungen (wie Plácido Domingos «Tristan») einem Hörtest und wertet den Stapel jüngster Buchveröffentlichungen aus.
Kasperletheater und Psychodrama
Klaus Kalchschmid über die Wiederaufnahmen in Bayreuth
In Schönheit sterben
Neue Gesamt- und Teilaufnahmen von «Tristan und Isolde» auf CD und DVD
Vom Reiz der Intimität
Patrice Chéreau über seinen Bayreuther «Ring», die Arbeit mit Sängern und das Verhältnis von Oper und Film
Langsam geht die Welt zugrunde
Neue Wagner-CDs mit Hans Knappertsbusch, Lovro von Matacic, Lioba Braun und James King
Schlucken vor der Einsicht
Mit seinem Bayreuther «Ring» von 1976 ist Patrice Chéreau international berühmt geworden. Trotzdem hat er seitdem nur selten Oper inszeniert: «Lulu» und «Wozzeck» von Berg, «Lucio Silla» und «Don Giovanni» von Mozart. Letzterer liegt nun auch schon elf Jahre zurück. Jetzt lässt Chéreau sich in Aix-en-Provence auf Mozarts «Così fan tutte» ein. Dafür hatte er sich den Dirigenten Daniel Harding gewünscht. Das Ergebnis war in Frankreich heftig umstritten; die Proteste galten sicherlich auch dem Festival-Intendanten Stephane Lissner, seinem Schritt an die Mailänder Scala und seiner Politik der Koproduktionen. Künstlerisch ist die neue «Così», die im Herbst in Paris und später in Baden-Baden zu sehen sein wird, vor allem eins: Schwindel erregend einfach. Wie schwer das Einfache ist, zeigen in Aix die anderen Produktionen, die allesamt hinter Chéreaus Niveau zurückfallen. Mehr über die Höhe- und Tiefpunkte des aktuellen Aixer Jahrgangs auf den folgenden Seiten.
Fieberanfälle
Im Jahr 2002 ist Anna Netrebko bei den Salzburger Festspielen als Donna Anna in «Don Giovanni» eingesprungen. Für das, was sie damals ablieferte, wurde sie im «Opernwelt»-Jahrbuch zur «Sängerin des Jahres» gewählt. Was seitdem mit ihr passiert ist, hat in der Vermarktungsgeschichte von Opernsängern nicht seinesgleichen. Als sie jetzt als Traviata nach Salzburg zurückkehrte, herrschte dort Ausnahmezustand. Blankoschecks für Karten gingen in der Direktion ein, ein Südsee-Urlaub wurde als Gegenleistung für Tickets angeboten. Auch die Medien überschlugen sich. Unser Bericht betrachtet eine Verdi-Premiere jenseits des Hypes. Es gab auch noch andere neue Produktionen in diesem Salzburg-Sommer: Schrekers Opus magnum «Die Gezeichneten» und einen Anlauf zum Mozart-Jahr 2006. Davon und von den aktuellen Salzburger CDs, DVDs und Büchern handeln die folgenden Seiten.
In den Ruinen der Wünsche
Schrekers «Gezeichnete» inszeniert von Lehnhoff, dirigiert von Nagano in der Salzburger Felsenreitschule
Knäbische Alpträume, kriegerische Amouren
«Mitridate» und «Die Zauberflöte» in Salzburg
Zartes und Derbes
Die neuesten Salzburger CDs, DVDs und Bücher
Schauplatz Raffinerie, Spielplatz Theater
Heinz W. Koch über Nielsens «Maskerade» und Verdis «Il trovatore» bei den Bregenzer Festspielen
Nichts, wie es war - alles, wie es war
Das Glyndebourne Festival nach dem Terror von London,DVD-Dokumente aus früheren Jahren
Von Karthago nach Moskau
Christof Loy hat seine Deutung von Händels «Alcina» in München neu erarbeitet und feiert im Prinzregententheater einen Triumph, gegen den eine Purcell-Bearbeitung im gleichen Haus verblasst. Das Staatstheater am Gärtnerplatz zeigt mit Schnebels «Majakowskis Tod», dass es der großen Schwester, der Bayerischen Staatsoper, absolut ebenbürtig sein kann
Erinnerung und Erneuerung
Das Genre Kirchenoper beim «Carinthischen Sommer» in Ossiach/Villach
Magazin
Interview
Vom Grund der Seele
Daniela Dessì über Frauenfiguren des Verismo, Tücken der Besetzungspolitik und den Umgang mit Stilwechseln
Panorama
CDs
DVDs
CDs
Retrospektive
Ganz vorne in der zweiten Reihe
Sein Leben lang war Hans Günter Nöcker eine Stütze legendärer Ensembles: erst in Stuttgart, ab 1960 dann für mehr als vierzig Jahre an der Bayerischen Staatsoper. Daneben gastierte der dramatische Bariton in Berlin und Wien, in Mexiko und an der Scala. Im «Opernwelt»-Gespräch erzählt er von der Arbeit mit Regisseuren wie Günter Rennert und Wieland Wagner und Dirigenten wie Joseph Keilberth und Ferdinand Leitner; er berichtet von seinen Erfahrungen mit der musikalischen Moderne und verrät, warum ihm Leonard Bernstein nach einer «Meistersinger»-Vorstellung um den Hals fiel