Visionen des Unbegriffenen
November 1999. Ein großer Liedersänger erprobt sich in Zürich erstmals als Alban Bergs Wozzeck. Matthias Goerne legt die Partie ganz lyrisch an, nach innen gewendet, bisweilen wie abwesend und immer wieder auf den schieren Schöngesang zielend. Das haftet bis heute.
September 2015. Wieder erprobt sich ein großer Liedersänger, der größte vielleicht derzeit, am selben Ort, an derselben Aufgabe. Auch Christian Gerhaher verleugnet nicht den charismatischen Lyriker in sich, und der überaus diskret agierende Dirigent Fabio Luisi kommt ihm dabei dezidiert zu Hilfe.
Keinerlei Anstrengung, kein Touchieren von Grenzen. Den sonst oft aufgebotenen Charakter-, gar Heldenbariton vermisst niemand.
Bewältigt er auch die höheren Phonstärken erstaunlich stabil, so sind es doch die Feinheiten, die unmittelbar bezwingen. Die Versonnenheit des «Lasst die Kleinen zu mir kommen!», das Misstrauen, das beinahe wider Willen aus dem fast geflüsterten «Fürchst Dich, Marie? Und bist doch fromm? Und gut! Und treu!» spricht – man wird’s lange nicht aus dem Ohr bekommen. Ein wahrlich signifikanter Singdarsteller bietet all seine vokale Klugheit auf, um dem armen Teufel, diesem allenthalben Benachteiligten zu einem ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Opernwelt November 2015
Rubrik: Im Focus, Seite 18
von Heinz W. Koch
Ob gesellschaftlicher Underdog oder nicht: Heute weiß fast jeder, wie prekäre Arbeitsverhältnisse aussehen und wie schnell einer in den Wahnsinn getrieben werden kann. So gesehen bietet Alban Bergs «Wozzeck» reichlich Stoff für jeden Regisseur, der auf Vergegenwärtigung aus ist. Doch Christian Tombeil hebt für seine Neuinszenierung am Theater Hof leider nur im...
Zwei Erhabenheitsbilder stehen für das angebliche Wesen der Musik: der mythische Sänger Orpheus und die Heilige Cäcilie, entrückt an der Orgel. Rein, veredelnd soll die wahre Tonkunst sein, alles Irdische, Materielle, Animalische transzendieren. Demgegenüber reagierte Schumann auf das Unisono-Finale der b-Moll-Sonate des von ihm bewunderten Chopin ratlos lapidar:...
Der Schöpfer habe Italien, schrieb Mark Twain, nach Entwürfen von Michelangelo gemacht. Vielleicht, könnten spätere Generationen anmerken, auch nach jenen der Werbestrategen von Alfa Romeo. Von ihnen könnte jedenfalls das Bild auf dem Cover von Juan Diego Flórez’ neuem Album «Italia» stammen: la bella macchina in toskanischer Landschaft. Mit der Lässigkeit des...
