Übercandidelt
Der Schlausten einer ist er nicht – wohl aber einer der naivsten. Von einer Katastrophe in die nächste taumelt der arme Candide. Anscheinend immer zur falschen Zeit am falschen Ort, gerät er als Soldat in den Krieg, in die Fänge der Inquisition, wird zum Mehrfachmörder und überlebt – auf wundersame Weise, wie alles andere – selbst das schwerste Erdbeben. Und als er schon das Schlimmste überstanden hat, dämmert ihm langsam, dass diese Welt doch nicht «die beste aller möglichen Welten» ist, wie es ihm sein Lehrer einbläute.
Wiederholt trifft er während seines Ritts um den Globus diesen Doktor Pangloss, seine Liebste Kunigunde und die anderen Mitschüler – allerdings nur, um sie sogleich erneut zu verlieren. Candide, der Tropf. Trotz allem ein Optimist bis zum Schluss: dem kollektiven Rückzug in die Natur.
Mit Voltaires «Candide» vertonte Leonard Bernstein jenes Stück, mit dem der Autor den Leibniz’schen Optimismus ad absurdum führt. Das Absurde nahm Barrie Kosky als Auftrag für seine Inszenierung dieser Odyssee durch die Unwahrscheinlichkeiten an der Komischen Oper in Berlin. Das Stück ist schwer zu fassen, changiert zwischen Musical, Operette – und wohl auch Oper. Der Wortanteil ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Opernwelt Januar 2019
Rubrik: Panorama, Seite 36
von Nora Sophie Kienast
Am Anfang war der Kuss. Innig umschlungen stehen eine Frau und ein Mann in der Bühnenmitte, liebkosen sich mit der Zärtlichkeit des ersten Mals und wollen selbst dann nicht voneinander lassen, als das aus dem Raunen der Kontrabässe sich entwickelnde, initiale Es-Dur anschwillt zum Wagner’schen Klangstrom, der vom Werden der Welt kündet. «Weia! Waga! Woge du Welle»...
Das letzte Wort ist noch nicht gesungen. Etwas mehr als die Hälfte des Textes, der ihn seit einer gefühlten Ewigkeit umtreibt, hat György Kurtág nun «vertont». Aber natürlich ist er mit «Fin de partie» nicht fertig. Mit dieser stockenden, komischen, lakonisch atmenden Sprachmusik Samuel Becketts, der er 1957 in Paris erstmals begegnete, kurz nach der Uraufführung...
Ein Ruf lockt auf dem Umschlag des originellen Werkstattprotokolls: «O Melville!» (Müry Salzmann Verlag, 2016). Und zwischen den Buchdeckeln erlebt man Olga Neuwirth 2011/12 in New York, wie sie sich an ihrer Oper «The Outcast» abarbeitet. Olga im Overall alltäglich als Selfie («Everyday Olga»); dazu das adäquate Foto ihres Schreibtischs («Quiet at the desk») und...