Reflexion und Mahnung
Viel Zeit zum Verschnaufen bleibt kaum. Als Nächstes, gleich nach der Uraufführung, muss ein liebestoller Gott betreut werden, und das nicht in der gängigen Vertonung von Richard Strauss, sondern in der von Antonio Caldara. Der Venezianer erhielt seinerzeit von Salzburgs Fürsterzbischof den Auftrag, fürs neue Heckentheater im Mirabellgarten Standesgemäßes zu schreiben – Grund genug, «Dafne» anno 2015 auf den Spielplan des dortigen Landestheaters zu setzen. Der präsentiert sich weiterhin äußerst bunt, allerdings nicht als Willkür-Auswahl.
Was man spürt, ist die große Neugierde von Intendant Carl Philipp von Maldeghem und seinem Team, die Lust auf Grenzbereiche, und das in einer Stadt, die zwar auf theater- und musikaffines Publikum bauen kann, deren Kulturleben durch den Dauer-Festspielbetrieb aber schier erdrückt wird. In der kommenden Saison setzt das Haus weitere Ausrufezeichen: mit «Brokeback Mountain» von Charles Wuorinen oder mit der szenischen Uraufführung von «Stormy Interlude» des verfemten österreichischen Komponisten Max Brand. Als Finanzspender dafür dienen «Carmen» oder «Il turco in Italia» – warum auch nicht.
In der aktuellen Spielzeit wagt man Ambition sogar in recht ...
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Opernwelt Juli 2015
Rubrik: Magazin, Seite 75
von Markus Thiel
Muss das sein? Das ist der erste Gedanke, als sich der prächtige Vorhang des Prager Nationaltheaters hebt. Der Blick fällt auf eine riesige Projektion mit dem Konterfei Leos Janáceks, vor das, mit Fräcken angetan, die Sänger treten, um sich einer nach dem anderen vom Gefängniswärter in das Lager bzw. die Oper einweisen zu lassen. Doch wozu dieses szenische...
Schwerlich kann ein einziges Opernhaus sich enzyklopädisch betätigen oder als ein «imaginäres Museum» – zu solch umfassender Darstellung des Werkbestands (wenn wir eine bewegliche Sache einmal so dinghaft-museal benennen wollen) bedarf es schon einer vielfältigen Theaterlandschaft, wie wir sie in Mitteleuropa zum Glück (noch) haben. Indes kann ein Spielplan doch...
Vielleicht lässt sich das Problem mit Nietzsche verstehen. Damit ein Ereignis Größe habe, müsse zweierlei zusammenkommen, schrieb der Philosoph in seinem viel zitierten Aufsatz «Richard Wagner in Bayreuth»: «der große Sinn derer, die es vollbringen, und der große Sinn derer, die es erleben». Damit die Größe des Ereignisses auch erkennbar bleibt, braucht es freilich...