Rede und Gegenrede
Demokratie ist Diskussion. Sie muss Meinungsäußerungen der einen Seite aushalten, die für die andere eigentlich unerträglich sind. Die Rede des einen erlaubt die Gegenrede des anderen. Der Geist der Freiheit will es so. Die Griechen, deren Vorfahren einst die Demokratie erfanden, sind geübt darin, sie vertreten dieses Recht mit enormer Leidenschaft – lautstark und heftig. Und sie tun dies nicht nur auf dem angestammten verbalen Kampfplatz der Agora, sondern sogar im hehren Haus der hohen Kultur, wie jüngst in der Greek National Opera.
Da steht der von Robert Wilson in Langsamkeit und Lichtmagie getauchte «Otello» auf dem Frühjahrsprogramm, die Inszenierung entstand in Koproduktion mit dem Festspielhaus in Baden-Baden. Doch der erste Ton des Abends entspringt nicht dem wild aufbrausenden Seesturm, aus dem sich die Titelfigur dann alsbald mit einem erlösend tenorpotenten «Esultate» rettet. Ein junger Tänzer betritt vor der Vorstellung die Bühne des spektakulären, ganz nah am Wasser gebauten neuen Kulturkomplexes. Um die Schultern trägt er eine Flagge in Blau-Gelb, den Nationalfarben der Ukraine. Er hat einen Zettel in der Hand, von dem er erst in griechischer, dann englischer Sprache ...
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Opernwelt Mai 2022
Rubrik: Magazin, Seite 84
von Peter Krause
Die Tonart verheißt nichts Gutes. Es-Moll, das riecht nach Tod, in manchen Fällen auch nach einer gewissen Art von Tod. Und die gute Liù weiß, dass ihr ein solch harsches Ende droht, weiß es seit dem ersten Akt, als ihr dieses tieftraurige es-Moll schon einmal begegnete, in jenem andante triste, als das Volk von Peking, leider vergeblich, um Gnade für den jungen...
Erst das Satyrspiel, dann die Tragödie: Zehn Monate vor Massenets «Thaïs», im Mai 1893, brachte Camille Saint-Saëns seine in Windeseile komponierte Opéra comique «Phryné» auf ein Libretto von Lucien Augé de Lassus heraus. Dem tragischen Paar, einem erotisch verquälten Mönch aus der thebaischen Wüste und einer frömmelnden alexandrinischen Kurtisane, die ekstatisch...
Joachim Herz war nicht nur ein ausgezeichneter Regisseur, er hatte auch eine so entschiedene wie eigenwillige Meinung über die Stücke, die er inszenierte. In einem Aufsatz von 1958 äußerte sich Herz ausführlich auch zu jenem Gespann, das bis heute gerne an einem Abend gezeigt wird – Pietro Mascagnis «Cavalleria rusticana» und Ruggero Leoncavallos «Pagliacci», den...
