Keine leichte Kost
1917, auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs und in den Straßen der vernarbten Städte sterben seit Jahren völlig sinnlos Millionen von Menschen, schreibt Walter Hasenclever ein bitterbös-gnadenloses Gedicht: «Die Mörder sitzen in der Oper!» Und kaum gewaltiger könnte der Unterschied zwischen den Sphären sein, die der Dichter in scharfschneidende, expressionistisch verfinsterte Verse kleidet: «Ein Zug entgleist. Zwanzig Kinder krepieren. / Die Fliegerbomben töten Mensch und Tier. / Darüber ist kein Wort zu verlieren. / Die Mörder sitzen im Rosenkavalier.
» Zwei Jahre später wird das Gedicht veröffentlicht – «In memoriam Karl Liebknecht», jenes antimilitaristischen Sozialisten, der kurz zuvor, wie seine Mitstreiterin Rosa Luxemburg, von Mitgliedern der Garde-Kavallerie-Schützen-Division in Berlin brutal ermordet worden war.
Es ist keine leichte Kost, die uns Stefan Zednik mit seinen «Erkundungen zu einer unzeitgemäßen Kunst» serviert. Die Lektüre lohnt dennoch, weil sie mit kritisch reflektierendem Blick auf die Repräsentationsform Oper schaut, auf ihre bizarre, bisweilen absurde historische Selbstvergessenheit, als einer Kunstgattung, die als höfische in die Welt kam und bis ...
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Opernwelt April 2023
Rubrik: CDs, DVDs und Bücher, Seite 35
von Jan Verheyen
Genieflammen zucken da und dort […] Wenn Mozart nicht eine im Gewächshaus getriebene Pflanze ist, so muss er einer der größten Komponisten werden, die jemals gelebt haben.» Dies prophezeite der streitbare, selbst komponierende Journalist und Dichter Christian Friedrich Daniel Schubart 1775 in seiner «Deutschen Chronik» nach der Münchner Uraufführung von Mozarts «La...
Das Licht geht aus, wie von Geisterhand setzen sich die Tasten des Flügels in Bewegung. In der Mitte des Raumes beginnt sich die kreisförmige Zuschauertribüne um die eigene Achse zu drehen. Langsam fährt das verblüffte Publikum an Podesten vorbei, auf denen mehrere Sängerinnen und Sänger in blau leuchtenden Perücken hinter halbdurchsichtigen Gaze-Schleiern sitzen –...
Auch nach zweimaligen Lesen staunt man ungläubig: Die spielen das Stück tatsächlich dort. Im ehemaligen Augsburger Gaswerk, wo die Brecht-Bühne des Staatstheaters beheimatet ist. Normalerweise wäre das nicht weiter erwähnenswert, doch auf dem Spielplan steht «Das Tagebuch der Anne Frank». Und bevor das Kopfschütteln überhandnimmt, geht die Inszenierung von Nora...