In tiefer Einsamkeit
Manchmal braucht es keine aufwendigen Mittel, um große Wirkungen zu erzielen. Der überlange Tisch, an dem die Figuren im schlichten Bühnenbild von Norman Heinrich einander oft starr gegenübersitzen, weckt unweigerlich die Assoziation an das zynische Verhandlungsarrangement des russischen Kriegsverbrechers Wladimir Putin. An diesem Tisch sitzt Telramund, der alte, wütende Mann, als Blinder vor seinem Schachspiel, während Ortrud, giftblonde Funktionärin in königsblauer Uniform, für ihn die Figuren zieht.
Die angeklagte Elsa verkriecht sich darunter wie ein traumatisiertes, Schutz suchendes Kind. Lohengrin und König Heinrich bevorzugen für ihre großen Ansprachen die dem Publikum zugewandte Mitte des Tisches. Die Assoziation mit dem Kreml reicht aus, um eine Stimmung zu etablieren – und ist doch zugleich allgemein genug, um den Blick nicht zu verengen. Sie muss nicht szenisch durchdekliniert werden.
Patrick Bialdyga, Hausregisseur und künstlerischer Produktionsleiter der Oper Leipzig, widersteht der Versuchung, Wagners Oper eine politisierende Deutung überzustülpen. Man könnte diese Beobachtung natürlich auch umkehren und ihm genau dies, das Fehlen einer genialischen ...
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Opernwelt Mai 2022
Rubrik: Im Focus, Seite 26
von Julia Spinola
Literaturoper oder nicht, das ist hier, vielleicht, die Frage. Natürlich zählt «Der Meister und Margarita» von York Höller diesem Genre zu, schließlich bildet der gleichnamige (surrealistische) Roman Michail Bulgakows die Vorlage für Höllers Bühnenwerk und lehnt sich der lineare Textverlauf daran an. Zugleich handelt es sich dabei aber nicht um eine einfache...
Irgendetwas stimmt hier nicht: Wir sind in einer grauen, grindigen Halle. Auf (Roll-)Stühlen und in alten Fauteuils: zu Skulpturen erstarrte, mit Tüchern verhüllte Figuren. Aber seitab, da sitzt, wie ein irritierender Farbfleck, eine strickende Maid mit blondem, geflochtenem Haarkranz und in blauem Dirndl (Kostüme: Angelika Rieck). Es ist Herzeleide, die gar nicht...
Hybris tat noch keinem Herrscher gut. Auch der römische Kaiser Elagabal, der sich selbst für gottähnlich hält und seine Untertanen so lange unterdrückt, quält (und im Falle der stolzen Eritea sogar vergewaltigt), bis der Tyrannenmord, gleichsam als Ultima Ratio, unausweichlich wird, scheitert letztlich an dieser eklatanten Charakterschwäche. Hört man die Musik, mit...
