Im Strudel der Metamorphosen

Rauschend bewegtes Manifest: Olga Neuwirths «Orlando» nach Virginia Woolf an der Wiener Staatsoper

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Ich sind viele. Eine Binse eigentlich. Kein Mensch lässt sich auf den Einen, die Eine, das Eine verrechnen. Das Selbst ist ein fluides Kompositum, labile Schnittmenge verschiedener Einflüsse und Prägungen: Genetik und Gesellschaft, Biologie und Kultur, Gegenwart und Geschichte fließen da, oft unentwirrbar, als formierende Faktoren zusammen. Doch nicht selten erfährt gerade das Offensichtliche besonders heftigen Widerstand.

Die Sehnsucht nach zeitlosen Gewissheiten, nach unveränderlichen Maßstäben und unerschütterlicher Stabilität kann, zumal in Zeiten post-faktischer Kampagnen, alle vernunftgeleitete Erkenntnis über die Komplexität der Wirklichkeit übertönen. Am Beispiel des Sperrfeuers, das die Apostel einer Nation, Blut und Boden beschwörenden identitären Erweckung auf die von der amerikanischen Philosophin Judith Butler angestoßenen Queer- und Gender-Debatten orchestrieren, lassen sich die – kräftig geschürten – Ängste vor der Einsicht, dass das Hybride, Vieldeutige im Grunde der Normalfall ist, exemplarisch beobachten.

Ein Dorn im Auge identitärer Ideologen dürfte auch Virginia Woolfs erstmals 1928 erschienener Roman «Orlando» sein. Nicht nur, weil er heute als ein ...

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Opernwelt Februar 2020
Rubrik: Im Focus, Seite 4
von Albrecht Thiemann

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