GRAUSAME IRONIE
Es ist derzeit unmöglich, Opern mit historisch-politischem Hintergrund nicht auf das Kriegsgeschehen in der Ukraine zu beziehen. Die zahlreichen Despoten von Don Pizarro bis Scarpia, von Blaubart bis Francesco Cenci, sie gleichen alle mehr oder weniger dem heutigen Kriegsverbrecher im Kreml. Verdis «Les vêpres siciliennes» führt besonders dicht an die Gegenwart heran; so dicht, dass Regisseur Olivier Py angesichts der jüngsten Ereignisse keinerlei Änderungen an seinem Konzept vornehmen musste.
Dieses Stück ist zeitlos, ob es nun im Mittelalter spielt oder im französisch unterjochten Algerien des 19. Jahrhunderts.
Wer bisher die «Sizilianische Vesper» nicht ernst genommen hat, sollte es jetzt tun. Sie steht zwischen den Sensationsopern der mittleren Schaffensphase und den späten Meisterwerken, hat viele Mängel der Piave-Texte beseitigt; nur die zwingende Logik eines «Don Carlo» ist noch nicht erreicht. Musikalisch handelt es sich um eine Mixtur französischer und italienischer Elemente. Inszenierungen gehen nicht leicht von der Hand, weswegen das Stück so selten gemacht wird, erst recht nicht dessen französische Erstfassung von 1855. Dabei kann die Partitur mit vier oder fünf ...
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Opernwelt Mai 2022
Rubrik: Panorama, Seite 51
von Volker Tarnow
Diese Frau. Wir kennen sie nicht. Und doch wissen wir instinktiv, wer sie ist, was mit ihr geschieht. Oder bereits geschehen ist? Ganz klar wird das nicht. Sichtbar sind nur jene Tränen, die in Zeitlupe erst über die linke, dann über die rechte Wange kullern. Und ihre Augen, die uns fixieren, über Minuten, und deren Ausdruck anmutet wie der flehentliche Versuch,...
Der rote Lappen ist unten, aber nicht ganz, deshalb können wir sehen, wie sich da, trippelnd und dehnend, eine Schauspieltruppe warmläuft. Die Musik, ein ohrenöffnendes Klarinettensolo, suggeriert Behaglichkeit: «Es war einmal». Das Auge aber hat sich einzustellen auf Theater im Theater in Neonrahmen (gebaut von Vincent Lemaire), alles in Anführungsstrichen...
Erstaunlich genug, aber das Schrifttum über Wolfgang Rihm ist recht begrenzt, obwohl er unbestritten zu den bedeutendsten Tonsetzern unserer Gegenwart zählt (OW 04/2022). Die Journalistin Eleonore Büning will nun Abhilfe schaffen. Ihr Buch deutet mit Bezug auf den gleichnamigen Titel einer Werkreihe Rihms an, dass es in «Über die Linie» auch ums kompositorische...
