Göttlicher Idiotismus
«Verantwortungslose Heiterkeit, die in diesem Wirrsal ein Bild unserer realen Verkehrtheiten ahnen lässt», ist nach Karl Kraus das Wesen der Operette. Das gilt auch für Witold Gombrowicz’ 1966 entstandenes Schauspiel «Operette», ein grotesk-surrealistisches Pandämonium über die Achterbahnfahrt des 20. Jahrhunderts zwischen Klassenkampf und Faschismus, zugleich aber auch eine Huldigung an die Gattung, die für den polnischen Schriftsteller mit ihrer göttlichen Idiotie das vollkommene Theater verkörperte.
Und so begegnen wir denn Figuren, wie sie die Operetten Lehárs und Kálmáns bevölkern: adeligen Schürzenjägern, senilen Hofschranzen, aufsässigen Kammerdienern, Grisetten und dem Modeschöpfer Fior, der, egal ob Revolution oder Restauration herrscht, alles dem Diktat der Mode unterwirft. Posen sind aber auch die Duelle der beiden Lebemänner Charme und Firulet, Posen ihre Verführungsversuche Albertinchens, die von der Nacktheit träumt. Unter all diesen Maskenspielen und Maskenbällen der Dekadenz, so Gombrowicz, «blutet mit lächerlichem Schmerz das verzerrte Antlitz der Menschennatur».
Gombrowicz’ Farce von der theatralischen Entblößung unserer Existenz zitiert ständig Gesang und Tanz ...
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