Genauigkeit und Vielfalt

Am 10. Februar 2008 starb die dänische Sopranistin Inga Nielsen. Eine Erinnerung mit Texten von Plácido Domingo, Michael Gielen, Stefan Herheim, Peter Konwitschny, Stephan Mösch und Antonio Pappano

Sie hatte einen wunderbar präzisen Humor. Als Inga Nielsen, noch ganz junge Sängerin, einen Vorsingtermin bei Herbert von Karajan bekam, war sie verständlicherweise aufgeregt. Der Maestro mit den stahlblauen Augen fixierte sie scharf und sagte etwas wie: «Nun seien Sie doch nicht nervös. Wir wollen nur ein bisschen Musik machen.» Sie konterte: «Wären Sie etwa nicht nervös, wenn Sie dem Karajan vorsingen müssten?» Damit war das Eis gebrochen. Sie sang – und wurde engagiert.
Ein Blatt vor den Mund hat Inga ­Nielsen nie genommen. Sie sagte, was sie dachte und was Sache war.

Manche mediokren Gestalten der Opernszene haben ihr diese Stärke übel genommen. Sie galt dann als «schwierig», bloß weil sie eigene Gedanken zu einer Figur entwi­ckelte, einen Probenplan oder ein Kos­tüm unsinnig fand oder einem Dirigenten deutlich machte, dass seine Tempi kaum zusammenpassten. Ihre Devo­tion und Disziplin galten der Sache. Und sie konnte nie begreifen, dass andere nicht dieselbe Disziplin, dieselbe Genauigkeit im Umgang mit den Noten, den Gesten, den inneren Zusammenhängen der Figuren aufboten.
Wie genau sie war, das konnte man bei Schönbergs Monodram «Erwartung» hören: Nie zuvor in der ...

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Opernwelt April 2008
Rubrik: Im Focus, Seite 12
von Plácido Domingo, Michael Gielen, Stefan Herheim, Peter Konwitschny, Stephan Mösch, Antonio Pappano

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