Gefallene(r) Engel
Allein die fehlerhafte Übersetzung zeigt, wie fern uns die Figur ist. Gottesnarr, Jurodstwo, damit ist eigentlich der «Narr in Christo» gemeint, eine irdische Figur – mit mutmaßlich heißem Draht nach oben. Heiliger, verehrter und gefürchteter Außenseiter, Wahrheitskünder, verspotteter Gaukler – alles fällt in dieser Figur zusammen, bei Puschkin, auch bei Mussorgsky. In Innsbruck wankt ein gefallener Engel über die Bühne, ein wie ins weiße Brautkleid verschnürtes Wesen. Halb zieht er das Volk an rotblutigen Seilen hinter sich her, halb ist er dessen Marionette.
Später wird er über der Szene hängen und das Ende weissagen.
Tenor Dale Albright macht daraus eine rätselhafte, nie keifende Charakterstudie, die so vieldeutig ist wie der ganze Abend. «Boris Godunow» auf dem Spielplan – vor einigen Monaten musste sich die Scala dafür rechtfertigen. Und wenn, so tönte es aus den Empörungsblasen, dann solle sich zumindest die Regie mit allfälligen szenischen Kommentaren, am liebsten mit Distanzierung dazu verhalten. Nichts dergleichen am Tiroler Landestheater. Die Aufführung, man spielt wie fast überall die Urfassung von 1869, führt den Beweis, dass dieses Stück auch ohne ...
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Opernwelt Mai 2023
Rubrik: Panorama, Seite 55
von Markus Thiel
Zunächst seh’n wir den Aufstieg einer schönen Frau,
Die liebt – und selbst umgarnt wird, von Diversen.
Kein Stück Musik für eine Landesgartenschau,
Regietheaterliebling der Perversen.
Auf einen Ton, da folgen stets elf weitere,
Fast wie im Fall der Männer: Mann für Mann.
Ein Maler stirbt (es gibt halt auch Gescheitere),
Man bumst mit voller Wucht auf’s Gamelan.
n...
Müsste man eine irgendwie adäquate Übersetzung für den Titel des Albums «Lumières Ottomanes» der libanesischen Sängerin Lamia Yared und des Ensemble Oraciones finden, so wäre wohl «Vielfalt des Osmanischen Reichs» am ehesten angemessen. Denn was die Sängerin und ihr Ensemble hier versammeln, lässt sich weder auf einen ästhetischen noch auf einen epochenmäßigen...
Ein Herz pocht. Sanft, kaum hörbar, in wiegenden Triolen. Es könnte das Herz der Natur sein, aber auch das jener Nymphe, die hier, abseits der Menschenwelt, ein Dasein fristet, welches ihr Glücksmomente nur noch selten beschert; der elegisch-wehmütige Streichergesang in der Ouvertüre von Dvořáks «Rusalka» erzählt geradezu rührend davon. Doch würde die schöne...