Gebrochenes Idyll
In seiner fünfaktigen französischen Fassung kommt Giuseppe Verdis «Don Carlos» dem Ideal einer perfekten Oper ziemlich nahe: Alle Figuren besitzen psychologische Glaubwürdigkeit. Wenn sie auch ihren historischen Vorbildern aus den langen Kriegszeiten des 16. Jahrhunderts mit dichterischer Freiheit nachgebildet sind (was für Schillers «dramatisches Gedicht» ebenso gilt wie für das Libretto von Joseph Méry und Camille du Locle), wirken sie doch in ihrer Entwicklung so komplex wie echte Menschen aus dem wahren Leben.
«Die Wahrheit nachbilden mag gut sein, aber die Wahrheit erfinden ist besser, viel besser.»
Des Komponisten späte und überaus stimmige Sentenz trifft sich verblüffend mit Schillers Zielen, der in seiner Schrift «Die Schaubühne als eine moralische Anstalt betrachtet» fordert, die Zuschauer sollten im Theater mit der «Wahrheit» konfrontiert werden. Verdi, der Wahrheits(er)finder, hat seinen Figuren aber auch eine Musik von einer 1867 (dem Jahr der Pariser Uraufführung) erreichten Meisterschaft auf den Leib geschrieben. Da paaren sich die leitmotivische Gesamtanlage, packende Duette, das Einfühlungsvermögen in die Seelenwindungen einer jeden Figur mit einer aufregend ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein

- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Opernwelt November 2023
Rubrik: Im Focus, Seite 24
von Peter Krause
Wer je auf dem Gipfel eines Dreitausenders (also eines auch für Normalsterbliche mit geeignetem Schuhwerk erklimmbaren Berges) gestanden und den herrlichen Blick von dort oben genossen hat, der weiß, dass das Wandern nicht nur des Müllers Lust ist, sondern eine enorme Bereicherung darstellen kann. Im besten Fall muss der Nachfahre von Wilhelm Müllers traurigem...
Als Jean-Baptiste Lully 1687 starb, stand die Tragédie en musique vor einem epochalen Umbruch. Zwei Musiker schlugen neue Wege ein – André Campra und Henry Desmarest. Campra trug den Sieg davon, weil Desmarest, der begabteste Komponist in Lullys Nachfolge, 1699 aus Frankreich fliehen musste. Es dauerte mehr als drei Jahrhunderte, bis mit der 1694 uraufgeführten...
Was ist sie doch für ein elegantes Räderwerk, diese Olympia, ein Spielzeug, das selbst spielen will. Mit seinen langen Fangarmen greift es nach dem Künstler und schwingt ihn rund um die eigene Achse. Es beglückt ihn wie die Blumen, die Vögel, die Herzen, die aus den Brüsten und aus tiefer gelegenen Körperregionen schießen im zweiten Akt von «Les contes d’Hoffmann»...