«Fremd bin ich eingezogen»
s ist kalt in Frankfurt. Knappe zehn Minuten nur dauert der Weg vom Hauptbahnhof bis zum Schauspielhaus: weißlicher Atemhauch aus Trinkerkehlen, blinkende Sex-Shop-Leuchtschriften, misstrauisch dreinblickende Passanten und gierige Krähen, die sich um halbverzehrte Döner balgen. Gefrorene Herzen, einsames Elend der Heruntergekommenen.
Und vorbeieilende Banker dazu, mit Knopf im Ohr: Wahrscheinlich hören sie sogar Schubert, «Schwanengesang» oder «Winterreise», neueste Aufnahme, Brendel-Goerne natürlich, wiegen ihr Gewissen im samtig pedalisierten Marschrhythmus, die eigene Rührung als Beweis nehmend, dass sie selbst eigentlich das Herz auf dem rechten Fleck haben, dass all dies Elend zwar schlimm, aber nun mal gottgegeben ist.
Vielleicht ist es tatsächlich Zeit, diese Lieder vor Musikmissbrauch zu schützen. Vielleicht kann die rein akustische Präsenz, auf CD ebenso wie in der neutralen Rahmung der klassischen Liederabend-Pose, die existenzielle Dringlichkeit der Schubert’schen Musik immer weniger vermitteln, läuft die Abrechnung mit der Welt Gefahr, zur sanften Seelenmassage aufzuweichen. Und vielleicht braucht es die zuspitzenden, verfremdenden Gewaltmittel der Bühne, damit ...
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Opernwelt Februar 2005
Rubrik: Thema: Szenische Liederabende, Seite 30
von Jörg Königsdorf
Man kann leicht über Franco Zeffirellis Wiener «Carmen»-Inszenierung spotten, über den Aufwand – Kulissen, 500 Mitwirkende und acht Pferde –, der umgekehrt proportional zur inhaltlichen Leere der szenischen Deutung steht. Doch eines muss man Zeffirelli lassen: Als Filmregisseur der Live-Übertragung hat er den Dirigenten, weit über das übliche Maß hinaus,...
Die Zuschauer auf den Plätzen vorne links, sonst bestens bedient, haben diesmal das Nachsehen: Anthony Pilavachi stellt ihnen ein Fernsehgerät vor die Nase und verbaut ihnen, da seine Personalregie der Bodenakrobatik verpflichtet ist, einige der interessantesten Einsichten – etwa, wie nahe sich Konstanze und der Bassa denn nun wirklich kommen. Schade, denn die...
Mit der 1928 in Wien herausgebrachten «Herzogin von Chicago» lag Emmerich Kálmán im Trend. Die klassische europäische Operette war klapprig geworden, kein Wunder nach den vielen Champagnerexzessen. Der jüngere Vetter aus Amerika, das Musical, drohte sie über den Haufen zu rennen. Da kam eine Frischzellenkur wie dieser in Gesang und Tanz ausgetragene «Kulturkampf»...