Empathie am toten Mann
Heiner Müller hielt es mit Mephisto: «Du grinsest gelassen über das Schicksal von Tausenden hin.» Fausts Vorwurf, bekannte der Chefdramatiker des deutschen 20. Jahrhunderts kurz nach dem Ende der DDR, beschreibe «eine Haltung, von der ich mich nicht freisprechen kann. Die ist gewachsen in den zwei Diktaturen, die ich erlebt habe.» Seine «Rüstung» gegen die auf Leichenbergen errichtete nazistische und kommunistische Gewaltherrschaft: «Man entwickelt einen Zynismus gegenüber der menschlichen Existenz.
» Es sind Schlüsselsätze für das Verständnis eines lakonisch-zersprengten, bitter-komischen, fragmentarischen Collage-Theaters, das Geschichte als Groteske und Sprache als Musik ohne Moral imaginiert. Es liefert gleichsam den chirurgisch-paradoxen, mit historischer oder persönlicher Erfahrung nur mehr als Material jonglierenden Bühnensound zu den Fanalen eines blutunterlaufenen utopischen Denkens.
Utopien, die Ungeheuer hervorbringen, sind auch dem Komponisten Alexander Raskatov vertraut. 1953 an dem Tag in Moskau geboren, als Stalin zu Grabe getragen wurde, bekam er noch selbst die Nachbeben jener sozialtechnischen Ideologie zu spüren, die auf die Erschaffung des neuen ...
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Eva-Maria Höckmayr scheint eine Vorliebe für Bühnentote zu haben. Wie schon in ihrer Berliner «Poppea» liegt die Leiche im Halbfeld links; irgendjemand hat ihre Umrisse auf den Boden gemalt. Doch wie es das Wunder will und ebenso die Musik, erhebt sich, kaum ist aus dem Off der unheilvolle Schuss gefallen, der arme Riccardo, während im Graben sein und Amelias...
Aki Kaurismäkis Kultfilm «Das Leben der Bohème» hat offenbar einen Paradigmenwechsel in der Opernregie eingeleitet. Heute wird Puccinis Adaption des Romans von Henri Murger jedenfalls vorwiegend in modernen Kostümen gespielt. Sängerische Schwergewichte wie Luciano Pavarotti und Montserrat Caballé in historischem Outfit würden wohl kaum noch Furore machen....
Im Handbuch «Komponieren für Stimme» zitiert Arne Stollberg in seinem Aufsatz «Exzesse des Schwelgens» einen Essay Paul Bekkers: «Klang und Eros». Er spricht darin von dem eigentümlichen Zauber, der von einer aus der Ferne erklingenden Frauenstimme ausgehe – vom musikalischen Eros, den kein Instrument zu imitieren vermöge. Diese Erfahrung machte ich (wenn die...