EIN FRIVOLES PAAR
Erst das Satyrspiel, dann die Tragödie: Zehn Monate vor Massenets «Thaïs», im Mai 1893, brachte Camille Saint-Saëns seine in Windeseile komponierte Opéra comique «Phryné» auf ein Libretto von Lucien Augé de Lassus heraus.
Dem tragischen Paar, einem erotisch verquälten Mönch aus der thebaischen Wüste und einer frömmelnden alexandrinischen Kurtisane, die ekstatisch im Frieden des Herrn stirbt, ging ein frivoles Paar voraus: Nicias, ein heiterer, schuldenmachender Luftikus, und die im Glanz ihrer heidnischen Schönheit erstrahlende Kokotte Phryné, die der Fama nach dem Praxiteles als Modell für seine Aphrodite-Statue gedient hatte. Massenet war seit 1892 an der Arbeit, Louis Gallet (der mehrfach als Librettist für beide Komponisten tätig war) hatte das «Thaïs»-Libretto, in dem auch ein leichtlebiger Nicias vorkam, nach einem Erfolgsroman von Anatole France verfasst. Man kannte also das Projekt und wusste vorab von der Handlung. Die für die Rolle der Thaïs vorgesehene Sibyl Sanderson war zudem auch Saint-Saëns’ Sängerin. Erstaunlich, dass diese polemische Situation, in der Saint-Saëns mit witzig leichter Hand seine Ästhetik skizziert, bisher in all ihren Facetten nicht erkannt worden ist. ...
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Opernwelt Mai 2022
Rubrik: Hören, sehen, lesen, Seite 36
von Klaus Heinrich Kohrs
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