Doch in der Ferne ein Licht
Gott ist allgegenwärtig. Und allmächtig. Egal, wohin man blickt in dieser «romantischen» Oper, in welche Gegend, in welchen Winkel, in welches Gesicht, seine Strahlkraft scheint unantastbar, unermesslich groß. Geht es vor Gericht oder um höhere Gerechtigkeit, wird allein er angerufen, fleht einer der Anwesenden um Gnade, richtet sich seine Hoffnung auf ihn, und selbst in den schlimmsten Momenten versichert man sich seiner Güte. Da ist nur ein kleines, aber nicht ganz unwichtiges Problem: Gott zeigt sich nicht.
Er ist abwesend. Und vielleicht ist er sogar tot.
Man kommt kaum umhin, an Nietzsches weit mehr verzweifeltes als genussreiches Verdikt zu denken, wenn man sich Kirill Serebrennikovs «Lohengrin»-Lesart in der Bastille zu Gemüte führt – und das beinahe buchstäblich. Denn unabhängig von der handwerklich hohen Qualität dieser Neuproduktion (es ist Serebrennikovs Debüt an der Opéra national de Paris) schleicht sich von Beginn an ein enormes Unbehagen ins Innere und übt dieses Unbehagen über fast viereinhalb Stunden zugleich einen unglaublichen Sog aus. Dieser «Lohengrin», der musikalisch zum Feinsten gehört, was die jüngere Rezeptionsgeschichte aufzuweisen hat, ist szenisch ...
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Opernwelt November 2023
Rubrik: Im Focus, Seite 6
von Jürgen Otten
Schwüles Gedünst? Es ist eher ein Hauch von Grünem Hügel, der am Theatervorplatz nahe dem Tinguely-Brunnen in der Luft liegt. Originale Nürnberger Rostbratwürste und echtes Bayreuther Bier werden da in den Pausen feilgeboten – zu Preisen, die sich von denen der Pausengastronomie der Richard-Wagner-Festspiele nicht besonders unterscheiden. Für den Besucher...
Der Weltgeist thront zu Pferde. Nun ja, nicht ganz, denn das arme Tier entpuppt sich bei genauerem Hinsehen erstens als Maulesel und hat zweitens nur zwei Beine (sie gehören einem bärenstarken Statisten, der sich unter dem Leinenfell verbirgt); auch der General ist nur eine blondgescheitelte Kopie Napoleons ohne dessen majestätische Kopfbedeckung. Aber das macht...
Das Bild besaß Symbolcharakter: Während der Ouvertüre zu Richard Wagners romantischer Oper «Lohengrin», die im Graben des Hessischen Staatstheaters bei der (szenisch leider völlig missglückten) Premiere ohnehin eher nach Verkrampfung als nach Verklärung klang, klemmte es irgendwo in der Soffitte und blieb das riesige schwarze Stofftuch zwischen Himmel und Erde...