Der Tor und die Trolle
Natürlich ist es reiner Zufall, dass zeitgleich zur Braunschweiger «Peer Gynt»-Premiere in München NS-Kunst aus dem Depot geholt und mit Zeitgenossen konfrontiert wurde. Wird da aus dem Keller heraufgezerrt, was im Rahmen einer (verspäteten) Entnazifizierungsdebatte dorthin verbannt wurde? Auch in Cottbus war Werner Egks Ibsen-Destillat aus dem Jahr 1938 ja unlängst zu sehen. «Peer Gynt» ist freilich kein Nazi-Stück, sondern eine Oper, in der sich der Zeitgeist der braunen Jahre spiegelt.
Einerseits, vor allem im stark deklamatorischen, am Text entlang komponierten ersten Akt, durchaus volksnah, andererseits in der Welt der Trolle schräg und bizarr, mit Songspielelementen, Showeffekten und Verzerrungen. Der Komponist, der nie Parteimitglied war, sich andererseits aber erfolgreich mehr als nur durchlavierte, hat da etwas geschrieben, das er den Nazis als Denunziation der Entartung anbieten, nach der Zeitenwende aber als Bekenntnis zur damaligen Moderne verkaufen konnte. Eine bajuwarische Variante der Rollenspiele Schostakowitschs, ohne dessen Todesangst, dafür mit gehöriger Schlitzohrigkeit.
In Braunschweig verzichtet Regisseur Dietrich W. Hilsdorf auf alle wohlfeilen ...
Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo
Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
- Alle Opernwelt-Artikel online lesen
- Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
- Lesegenuss auf allen Endgeräten
- Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt
Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen
Opernwelt Juli 2015
Rubrik: Panorama, Seite 35
von Rainer Wagner
Dunkeldüster endet «Luci mie traditrici». «Badet mich in Blut. Lebt wohl, ich werde für immer in Qualen leben», singt der Gattenmörder. Dennoch sind danach alle glücklich, Darsteller und Leitungsteam; Bravos sprühen wie Sterne, ein feuriges Feedback des Publikums in der Halle E des Museumsquartiers bei der Festwochen-Premiere der Oper von Salvatore Sciarrino. Da...
«Kleopatra» müsste diese Händel-Oper heißen, nicht «Julius Caesar». Daran lässt Lydia Steiers Neuinszenierung an der Komischen Oper Berlin keinen Zweifel. Noch ehe Konrad Junghänel den Einsatz für die Ouvertüre gibt, wird uns ein Blick auf die ägyptische Herrscherin gewährt. Wir teilen eine ihrer Erinnerungen, schauen der Jugendlichen beim Gerangel mit ihrem Bruder...
In Estland, diesem Vorposten des alten Europa am äußersten Zipfel der Ostsee, spielt die Kultur eine wichtige Rolle. Auch in dem Bestreben, dem als bedrohlich empfundenen Einfluss Russlands zu entkommen und sich dem Westen zu öffnen. Als Großmacht des Chorgesangs verfügt Estland über eine lange eigene Tradition. Nicht zuletzt Dirigenten wie Tõnu Kaljuste oder die...