Der Menschenliebe Macht

Mozart modern: Milo Rau dekonstruiert «La clemenza di Tito» in Antwerpen zum politischen Pamphlet, Tilmann Köhler treibt mit «Le nozze di Figaro» in Frankfurt ein psychologisch präzises Spiel, Alejo Perez und Thomas Guggeis bekunden erhöhte stilistische Kompetenz

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Das Ende ist der Anfang. Ein Herrscher zeigt, von Huldigungsklängen in strahlendem Dur begleitet, göttergleiche Milde und vergibt seinen Verschwörern, erst dem in sich zusammengesunkenen Sesto, dann der auch jetzt noch stolzen Vitellia. In Mozarts (vorgeblicher) Krönungsoper «La clemenza di Tito» ist es nach etlichen Irrungen, Wirrungen (und Falschmeldungen) die Konklusion, ein seria-typisches lieto fine. In Milo Raus Antwerpener Inszenierung bildet dies den Beginn einer Geschichte, die sich mit Mozart eigentlich nur noch am Rande beschäftigt.

Die Oper als Material für eine politische Erzählung, in der es um falsch ausgeübte Macht geht, um westliche Kolonalisierung und ihre Folgen, um das Schicksal nicht nur ganzer Völker, sondern zudem einzelner Menschen. Man kennt dergleichen moralisch fundiertes, politisch ambitioniertes Reenactment aus vielen Arbeiten dieses Regisseurs; der feine Unterschied besteht darin, dass er hier einen Stoff vorfindet, der sich zunächst heftig gegen solche Vereinnahmung und Umwertung wehrt.

Vor allem die Musik tut es, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln. Vermutlich war das der Grund für Rau, sie erst einmal zu dekonstruieren, sprich: sie ihres ...

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Opernwelt November 2023
Rubrik: Im Focus, Seite 26
von Jürgen Otten

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