Der geteilte Himmel

Die Genres sind unterschiedlich, eines aber eint die «Bücher des Jahres», Hans Neuenfels’ «Fast nackt» und Volker Hagedorns europäische Musikerzählung «Flammen»: der Hang zum Fantastischen. Ebenfalls beachtlich: Sabine Zurmühls Sicht auf Cosima Wagner. Eine Werkschau

Opernwelt - Logo

Die Musik, so hat es, überaus sinnfällig, Claude Debussy einmal notiert, sei für das «nicht Auszudrückende» geschaffen, also im Kern für das, was man mit Worten kaum oder gar nicht mehr sagen könne. Diese Sentenz war dem Moralphilosophen und Musikologen Vladimir Jankélévitch ein tieferes und ausgiebigeres Nachdenken wert, mit dem Ergebnis, dass er ein Buch schrieb, welches Debussys Bonmot noch verfeinerte.

Das Mysterium der Musik, so Jankélévitch, sei nicht das Unsagbare, sondern das Unaussprechliche – ein, um es mit Bourdieu zu sagen, feiner Unterschied. Unsagbar, so Jankélévitch, sei nur die schwarze Nacht des Todes (dessen unfassbares Wesen ihn so sehr faszinierte, dass er auch darüber ein fulminantes, markerschütternd-kluges Werk verfasste), «weil sie undurchdringliches Dunkel und trostloses Nichtsein» sei; das Unaussprechliche hingegen sei nicht auszudrücken, «weil es hierüber unermesslich, endlos viel zu sagen» gebe, und weil es durch seine anregenden und inspirierenden Eigenschaften wie eine Faszination wirke. Den damit zusammenhängenden Unterschied zwischen dem Wort und der Musik habe schon der Dichter Heinrich Heine erkannt: Wo es nämlich an Worten fehle, beginne die ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt Jahrbuch 2022
Rubrik: Bilanz des Jahres, Seite 74
von Olga Myschkina

Weitere Beiträge
Fremde Welten, tiefe Gefühle

Ich muss gestehen, die Oper «Frédégonde» war mir bis vor Kurzem nicht bekannt. Dass ich damit nicht allein bin, davon zeugen noch jüngste Veröffentlichungen zur Geschichte der französischen Oper im späten 19. Jahrhundert, in denen das Werk nicht auftaucht. «Frédégonde» erscheint auf den ersten Blick fremd im Sinne von unbekannt – und merkwürdig. Denn merkwürdig, ja...

Rusalka und ihre neun vergessenen Geschwister

Der Beginn war wenig ermutigend. Die 1870 vollendete, heroische Oper «Alfred» erlebte ihre Uraufführung 1938 in Prag und wurde dann erst wieder 2014, und auch nur konzertant, gegeben. Dabei ist Theodor Körners deutsches Libretto so übel nicht, schon Flotow und Raff hatten es vertont. Auch an melodischer Erfindungsgabe, packenden Szenen und origineller...

Love’s Old Sweet Song

Schon der Anfang: die reine Musik. Musik als Theater, Theatermusik. Dazu ein Schauspiel von erhabener Größe, unvergleichlich grandios übersetzt von Hans Wollschläger, man lässt sich diese Sätze immer wieder gerne auf der Zunge zergehen: «Stattlich und feist erschien Buck Mulligan am Treppenaustritt, ein Seifenbecken in Händen, auf dem gekreuzt ein Spiegel und ein...