Breakdance, Bibeln, Banlieue

Tobias Kratzer mischt in Karlsruhe Meyerbeers «Prophète» auf. Johannes Willig belebt die Klangarchitektur

Wiederholt haben Regisseure gezeigt, was man aus den Balletten machen kann, die in der Pariser Grand Opéra auf den ersten Blick nur überflüssig scheinen. So weit wie Tobias Kratzer in seiner Karlsruher Inszenierung von Meyerbeers «Blockbuster» aus dem Jahr 1849 ist jedoch kaum jemand gegangen: Die Tanznummern im dritten Akt werden (fast ungekürzt) von sechs B-Boys zu Plünderungsszenen getanzt. Einwandererkinder aus dem Schwäbischen spielen mit hinreißenden Akrobatik-Nummern Karikaturen ihrer selbst.



Für Kratzer sind die Underdogs in diesem Sozialdrama keine Bauernkrieger, sondern Jugend-Gangs aus einem trostlosen Wohnsilo der 1970er-Jahre – eine überzeugende Aktualisierung, weil so die Ästhetisierung von Gewalt und die dumpfe Auflehnung gegen alles Bestehende anschaulich werden. Die drei Wiedertäufer, die in diesem antirevolutionären Stück die Massen aufwiegeln und Jean, den tumben Gastwirt aus Leyden, zum charismatischen «Führer» aufbauen, sind wie Mormonen gekleidet und tragen wie Jesus Sandalen. Gleichsam als Vertreter eines AS, eines «Anabaptistischen Staates» wissen sie um die Macht von Bildern. Jeans Triumph-Hymne am Ende des dritten Akts, eine atemberaubende Vorwegnahme einer ...

Weiterlesen mit dem digitalen Monats-Abo

Sie sind bereits Abonnent von Opernwelt? Loggen Sie sich hier ein
  • Alle Opernwelt-Artikel online lesen
  • Zugang zur Opernwelt-App und zum ePaper
  • Lesegenuss auf allen Endgeräten
  • Zugang zum Onlinearchiv von Opernwelt

Sie können alle Vorteile des Abos
sofort nutzen

Digital-Abo testen

Opernwelt Dezember 2015
Rubrik: Im Focus, Seite 14
von Anselm Gerhard

Weitere Beiträge
Porträt des Künstlers als alter Mann

Der langen Reihe seiner Romanbiografien über Dichter und Komponisten des 19. Jahrhunderts hat Peter Härtling ein schmales Buch über Verdi hinzugefügt. Auch diesmal geht es ihm nicht um sachliche Lebensbeschreibung, sondern um deren literarische Anverwandlung, für die er sich die Bausteine aus Verdis Leben herausbricht.

Er setzt ein mit der Verunsicherung Verdis, der...

Tagträume, ausgelebt

Kleiner als im Mittelsächsischen Theater Freiberg, einem der ältesten noch bestehenden Stadttheater Deutschlands (1791), geht’s kaum. Das Puppenstubentheater in der historischen Freiberger Altstadt mit einer Bühne von 10 mal 12 Metern und einem Orchestergraben, in den gerade mal 44 Musiker passen, bietet ganzen 294 Zuschauern Platz. Trotzdem ist hier nicht...

Musterhaft dosiert

Nicht dass er unzufrieden wäre mit seiner Karriere. Aber eine Sache wurmt Mariss Jansons schon: Oper, die hätte er gern häufiger dirigiert. Vieles spielt da eine Rolle. Gewiss sein Herzinfarkt 1996 während einer «Bohème», aber auch sein Hang zum Kontrollator – der 72-Jährige fühlt sich unwohl, wenn er nicht Herr selbst der kleinsten Dinge ist. Im aufwendigsten...