Arbeit am Mythos
Eine putzige Anekdote über den kleinen Peter Tschaikowsky geht so: Das elsässische Kindermädchen ertappte seinen Schützling eines Tages, wie er vor einem Atlas kniete und die Länder Europas als die Feinde Russlands bespuckte. Von der Französin zurechtgewiesen, dass man so etwas nicht tue, antwortete der Junge verschämt, er habe beim Spucken Frankreich mit seinen Händen verdeckt, um es zu schützen.
Das besondere Verhältnis des Russen Tschaikowsky zu Frankreich, dem Land, das er liebte, sollte sich später in vielerlei Hinsicht kompositorisch niederschlagen – auch in der Wahl des Sujets seiner 1881 uraufgeführten großen romantischen Oper «Die Jungfrau von Orléans». Wobei einschränkend hinzuzufügen wäre, dass zur Entstehungszeit eine künstlerische Auseinandersetzung mit der historischen Figur der Jeanne d’Arc nicht mehr als Ausweis ausgeprägter Frankophilie gelten konnte. Längst handelte es sich um vielfach adaptierten Stoff der Weltliteratur.
Dass man sich in Erfurt für die diesjährigen DomStufen-Festspiele des selten gespielten Werkes angenommen hat, ist nicht nur verdienstvoll, sondern in einer gewissen Traditionslinie zu verstehen: Bereits 1961 war Schillers Drama von der ...
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Opernwelt September/Oktober 2021
Rubrik: Panorama, Seite 70
von Werner Kopfmüller
Robert Wilson
Damals, im Sommer 1976, geschah der Musiktheater-Umsturz: Robert Wilson, 34-jähriger Texaner, präsentierte in Old Europe eine Kreation mit dem rätselhaft absurden Titel «Einstein on the Beach», die Minimal Music dazu lieferte der Amerikaner Philip Glass. Das Stück hatte von Avignon aus Furore gemacht, mit Gastspielen in einigen Theatermetropolen....
Ein Pochen, kurz, lang, kurz, lang, das sich über mehrere Takte hinzieht. Kein rhythmisches Gerüst ist das, zweite Violinen und Bratschen haben da etwas anderes zu sagen. Bedrohung und Ausweglosigkeit, Trauer und Zögern, ein leeres Um-sich-Kreisen, das Voranschreiten eines Trauermarsches, alles fällt hier zusammen. Vorausgesetzt, man dirigiert diese c-Moll-Stelle...
An der Wende zum 20. Jahrhundert entdeckte auch Italien die Tiefen des Russischen Reichs. Kurz vor dem Erfolg der «Ballets Russes» in Paris waren Dostojewskis und Tolstois Romane übersetzt worden. Nicht viel hätte gefehlt und die erste Oper mit dem Titel «Aus einem Totenhaus» wäre nicht 1928 von Janáček, sondern von Puccini oder dem neun Jahre jüngeren Giordano...