Poesie des Schreckens

Eine Uraufführung von elementarer Wucht: «Die Banalität der Liebe» von Savyon Liebrecht und Ella Milch-Sheriff am Theater Regensburg

Opernwelt

«Du gehst zu Frauen? Vergiss die Peitsche nicht!», notierte ein bekannter deutscher Philosoph. Auch ein anderer deutscher Philosoph vergisst nun am Theater Regensburg die Reitgerte nicht, wenn er sich mit seiner Lieblingsstudentin für erotische Spiele der besonderen Art trifft. Bis er, halb nebenbei, halb provozierend, einen studentischen Nebenbuhler als «Jud» bezeichnet – und sie versteht, dass das hier kein Spiel mehr ist: «In dem Moment, in dem er Jud sagte, hätte ich ihn auffordern müssen zu verschwinden.»

Hat sie aber nicht, nicht in der Realität und nicht im Stück.

Die Beziehung zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger gehört zu den ambivalentesten, komplexesten, auch faszinierendsten zwischen zwei Denkern des 20. Jahrhunderts. Sie begann in den 1920er-Jahren als Affäre, das Jahr 1933 brachte die fundamentale Zäsur. Als Jüdin ging Arendt in den Widerstand und musste emigrieren, während Heidegger aktiv den Aufstieg des Nationalsozialismus unterstützte – für wie lange oder wie kurz, ist bis heute Gegenstand wiederkehrender Debatten. Mit entsprechenden Vorbehalten näherte sie sich ihm nach dem Krieg wieder an, blieb dann aber, immer wieder mit ihm und gegen ihn denkend, im Austausch, bis beide 1975/76 im Abstand von nur einem halben Jahr starben.

Die israelische Autorin Savyon Liebrecht hat daraus bereits vor einigen Jahren ein Theaterstück gemacht, das nun die israelische Komponistin Ella Milch-Sheriff für das Theater Regensburg gemeinsam mit der Autorin zur Oper umgearbeitet hat. In einer straffen Dramaturgie verdichtet «Die Banalität der Liebe» die Ereignisse auf zwei immer wieder ineinandergreifenden Zeitebenen. Da ist zum einen der junge Starprofessor Martin Heidegger, der die Studenten mit seinem fast schon dämonischen Charisma bezaubert. Seine hochmusikalische Sprache wird beim Klang einer Mandoline buchstäblich zum Sirenengesang, den Angelo Pollak denn auch mit so berückend schönem Timbre und Schmelz singt, dass man die Hingabe der mädchenhaft klingenden Anna Pisareva (sie verkörpert in der von uns besuchten Vorstellung die junge Hannah Arendt) sofort versteht.

Ihnen gegenüber steht die alte Hannah Arendt kurz vor ihrem Tod in New York, der Vera Semieniuk mit beständig brennender Zigarette zwischen den Fingern die ganze Grandezza der großen Intellektuellen leiht. Gleich zweimal muss sie sich hier verteidigen: für ihre Kommentare zum Prozess gegen Adolf Eichmann, dem sie – Verweis auf den Titel der Oper – die «Banalität des Bösen» attestierte, was in Teilen der israelischen Öffentlichkeit als Verharmlosung des Holocaust verstanden wurde. Und dann vor einem jungen Journalisten (Matthias Laferi), der in einer der vielen raffinierten Spiegelungen des Stücks der Sohn eben des «Jud» namens Rafael ist (Seymur Karimov), den die junge Arendt einst zurückgestoßen hat, um ihm den allzu deutschen Philosophen vorzuziehen. Nicht nur er klagt sie nun an, sondern in einer ins Surreale gesteigerten Szene auch Gideon Hausner (Mario Klein), der Chefankläger im Eichmann-Prozess.

Hannah Arendt selbst aber will nicht anklagen, auch nicht Martin Heidegger, der für sie einer der größten Philosophen bleibt, der sich eben eine Zeit lang verirrt hat. Ebenso wie die Inszenierung  Arendts Haltung nicht eindeutig wertet, sondern produktive Leerstellen lässt, Unausgesprochenes zwischen den Zeilen, Raum für Ambivalenzen. Selten hat man in jüngerer Zeit Theaterbilder gesehen wie die des israelischen Theater- und Filmstars Itay Tiran: Sie sind messerscharf gearbeitet und doch deutungsoffen. Von ganz zart bis ganz hart ist – wie in der Beziehung zwischen Arendt und Heidegger – alles drin. Und am besten, am schlimmsten wird es dort, wo beides sich zu einer Poesie des Schreckens, einer grauenerregenden Leichtigkeit mischt. Etwa wenn die junge Arendt wie ein hilfloses Kind in Heideggers Schoß liegt, während im Zuschauerraum gelbe Judensterne herunterregnen wie freundlich fallendes Herbstlaub.

Solche eindringliche Theatralität eignet auch der Musik, die auf der Basis einer erweiterten Tonalität ihre Mittel klar absteckt und konsequent durchführt. Bisweilen perkussiv vorantreibend, gewinnt sie ihre Dichte doch vor allem aus weitausgreifenden Linien. Für die Sänger entwirft Milch-Sheriff neben einem Parlandoton immer wieder intensive Kantilenen, denen das transparent musizierende Philharmonische Orchester Regensburg unter Leitung von Tom Woods genügend Platz lässt. Fast den ganzen Abend über anwesend bleibt in einer enormen Leistung der Regensburger Opernchor, der, optisch aus lauter Alter Egos Hannah Arendts bestehend, Sätze der Protagonisten mitspricht und verstärkt, ihre Gedanken ausspricht oder hinterfragt.

Er wird zum entscheidenden Mittel, mit dem die Autorinnen das Stück von den konkreten Biografien weg in eine tragische Dimension von Fragen nach Schuld und Vergebung heben. Bereits 2010 hatte Ella Milch-Sheriff in ihrer seitdem mehrfach nachgespielten Oper «Baruchs Schweigen» Notizen ihres Vaters verarbeitet, der Frau und Sohn durch den Holocaust verloren hatte. Das sadomasochistisch gefärbte Verhältnis zwischen Arendt und Heidegger im neuen Stück ist für sie auch Metapher für die scheiternde deutsch-jüdische Symbiose. So zitiert die Partitur immer wieder Motive deutscher Musik: Bach, ein Alt-Marburger Studentenlied, die Karfreitagsaue aus dem «Parsifal». Weinend bricht die alte Hannah Arendt über Wagners Musik zusammen, nachdem der junge israelische Journalist ihr Verhaftetsein in der deutschen Kultur angeprangert hat. Musik stellt da die alte Frage, die etwa auch Thomas Mann im «Doktor Faustus» umgetrieben hat: ob da ein direkter Weg war von den Sirenenklängen der deutschen Romantik zu den Schrecken des Nationalsozialismus, von der Sprachmusik Heideggers zur Banalität Eichmanns. Heidegger, «der letzte deutsche Romantiker», wie ihn die junge Hannah Arendt am Schluss nennt, wird so zu Mephisto, Arendt selbst zur faustisch fragenden Gelehrten, die alles verstehen will. Aber bedeutet zu viel zu verstehen auch, zu viel zu billigen? Die offene Frage gebiert eine Uraufführung von elementarer Wucht.


Milch-Sheriff: Die Banalität der Liebe
Regensburg | Stadttheater
Uraufführung am 27., besuchte Vorstellung am 31. Januar 2018

Musikalische Leitung: Tom Woods
Inszenierung: Itay Tiran
Bühne und Kostüme: Florian Etti
Licht: Wanja Ostrower
Chor: Alistair Lilley
Solisten: Anna Pisareva (Hannah Arendt, jung), Vera Semieniuk (Hannah Arendt, alt), Angelo Pollak (Martin Heidegger, jung), Adam Krużel (Martin Heidegger, alt), Seymur Karimov (Rafael Mendelson), Matthias Laferi (Michael Mendelson), Mario Klein (Gideon Hausner) u. a.

www.theater-regensburg.de


Opernwelt März 2018
Rubrik: Im Focus, Seite 18
von Michael Stallknecht

Weitere Beiträge
Wie das Leben selbst

Ein Doppelschlag bekräftigt die republikweite Bedeutung der Oper Frankfurt: Innerhalb von acht Tagen gab es am Willy-Brandt-Platz und im Bockenheimer Depot zwei Premieren, deren Unterhaltungswert in etwa dem Diskussionsbedarf entspricht, den sie auslösen. Wer zu Sarkasmus neigt, könnte meinen, eine höhere Instanz habe diese Kombination gewählt, um das berühmte «Capriccio»-Zitat «Zwei...

Funkenflug

Stille Nacht, heilige Nacht? Bacchus bewahre. Dieses Notturno kennt andere Vorlieben, und man benötigt  nicht besonders viel Fantasie, um sich vorstellen zu können, was da hinter geschlossenen Gardinen geschieht. Mit Feuer und Furor wühlen sich die Feldmarschallin Fürstin Werdenberg («Bichette») und ihr Liebhaber Octavian («Quin-Quin») durch den nächtlichen Kissenberg, einander förmlich...

Ohrentheater

Es ist still um ihn geworden. Aber das kennt man. Hans-Joachim Hespos arbeitete stets an den Rändern. Und so ist seine Musik. Eine Randerscheinung. Und: eine Herausforderung. Ein Stück von Hespos hört man nicht einfach so. Man muss hineinkriechen, um sich einen Eindruck von dessen Wesen zu verschaffen.

Das Credo seines Komponierens verdankt sich einem Diktum Luigi Nonos: «Das Ohr...