Im Schockzustand

Die Intendanten zweier wichtiger staatlicher Bühnen in Budapest sind ihre Jobs los, nachdem sich ihre Opfer outeten

Theater heute

Neben einigen Missbrauchsgeschichten aus dem Universitäts- und Verlagsbereich kamen die beiden auf­sehenerregendsten #metoo-Stories, die in den vergangenen Monaten in Ungarn publik wurden, aus dem Theaterbetrieb. Sie versetzten die Gesellschaft in einen Schockzustand.

 

Man kann die Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln erzählen: Etwa, wie die offiziellen, parteinahen Medien und die nationale Presseagentur mit den ungarischen #metoo-Stories umgingen (indem sie sie komplett ignorierten); wie andere Theatereinrichtungen reagierten, als die Namen der Täter bekannt wurden (indem sie die Vorstellung eines Machtmissbrauchs in ihren Instituten weit von sich wiesen); welche Diskurse sich um die ans Tageslicht drängenden Geschichten entspannen (von Empathie und Solidarität bis hin zu genera­lisierenden und aggressiven Beschuldigungen der Opfer und ihres sozialen Umfelds, der Theater und der zeitgenössischen Kunst). Und welche Institutionen die Notwendigkeit zur Öffnung und zu einer nachhaltigen Strategie der Veränderung erkannten (einzig die freien, zivilen Organisationen und Künstler).

Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die beiden Künstler*innen, die sich outeten, ihre persönlichen Geschichten erzählten und die Namen derer nannten, die sie sexuell belästigt und missbraucht hatten, aus der Freien Szene kommen. Als erste postete die freie Schauspielerin Lilla Sárosdi, ehema­liges Mitglied der Gruppe Kretakör (und Ehefrau von Arpad Schilling), auf ihrer Facebook-Seite ihre 20 Jahre alte Geschichte. Ihr folgte ein ehemaliger Tänzer, Ákos Maros, der heute in den USA lebt, seine künstlerische Karriere beendet hat und den Namen eines zweiten Regisseurs nannte. Vor allem Sárosdi war (und ist) Vorwürfen ausgesetzt, das Leben und die Karriere eines Menschen «zerstört» zu haben; dabei erzählten mindestens zehn andere Frauen den unabhängigen Medien ähnliche Geschichten und beteuerten, vor Gericht im Bedarfsfall für Sárosdi auszusagen. Aber aus Arpad Schillings Theaterproduktion «Loser» ist ein kurzer Videospot in Umlauf, in dem sie nackt zu sehen ist; sämtliche Grenzen von Kunst und Privatheit wurden überschritten und Sárosdi der Pornografie beschuldigt.

Die beiden namentlich genannten Belästiger sind männlich, sehr mächtig, von großem Einfluss in der Theaterwelt und Intendanten zweier großer Staatstheater in Budapest. Beide arbeiten seit Jahrzehnten als Regisseure mit großen Kompanien zusammen, beide unterrichten. Sie standen im Rampenlicht und genossen höchsten Respekt. László Marton (Jg. 1943) und Miklós Gábor Kerényi (Jg. 1950) waren verantwortlich für Vígszínház, das Lustspielhaus, und für das Operetten-Theater. Auch ihre Reaktionen waren identisch: Beide wiesen zunächst alle Anschuldigungen zurück und kündigten ein juristisches Vorgehen an, um sich dann (vermutlich vom selben Juristen beraten) zu entschuldigen. Ihre Opfer waren jung, unerfahren und am Beginn ihrer künstlerischen Karriere. Beide Intendanten wurden umgehend aus sämt­lichen Positionen entlassen oder traten freiwillig zurück, das ist nicht ganz klar. Marton bat schließlich auf groteske Art und Weise um Vergebung: «Ich entschuldige mich, falls ich etwas getan habe oder mich in einer Weise benommen habe, die jemand gekränkt hat» («bocsánatot kérek, ha olyat tettem vagy úgy viselkedtem, amivel megsértettem, nehéz helyzetbe hoztam öket»).

Die Konsequenzen aus diesen Vorfällen – und es dürfte noch einiges mehr ans Licht kommen – sind noch nicht abzusehen. Aber wer glaubt schon in einem Land, wo die Macht der Männer regiert, den Jungen und Machtlosen, die meistens Frauen sind? 

Aus dem Englischen von Barbara Burckhardt


Theater heute Januar 2018
Rubrik: Magazin, Seite 79
von Andrea Tompa

Weitere Beiträge
Wien: Vergib uns unsere Schulden

Dafür, dass er aus der Generation Pop stammt, hat der oberösterreichische Dramatiker Thomas Köck (geb. 1986) ein erstaunliches Faible für klassische Musikformen. «Paradies fluten» war als «verirrte Sinfonie» ausgewiesen, sein jüngstes Werk «Die Zukunft reicht uns nicht» firmiert nun als «postheroische Schuldenkantate»; der Untertitel «Klagt, Kinder, klagt!» zitiert eine Bach-Kantate (BWV...

Daten (01 2018)

Aachen, Grenzlandtheater

30. Enrico, Paulette

R. Uwe Brandt

 

Aachen, Theater

18. Massini, Ichglaubeaneinen­einzigengott.hass

R. Matthias Fuhrmeister

26. Ambjørnsen, Hellstenius und Næss, 

Elling

R. Sebastian Martin

27. Zeh, Unterleuten

R. Marcus Lobbes

 

Aalen, Theater der Stadt

21. Maar, Kikerikiste

R. Winfried Tobias und Ensemble

 

Ansbach, Theater

13. Dorfman, Der Tod...

Freiburg: Stänkern und stümpern

Jeden Dienstag Blutwursttag. Und hintennach Theater. Das ist ein bisschen viel Event für ein Kaff wie Utzbach – oder «Uuhtzbach», wie Bruscon den Ortsnamen auszuspucken pflegt, wohl um seine Geringschätzung dafür auszudrücken, dass es ausgerechnet ihn, den Staatsschauspieler, zum Gastspiel in den hiesigen «Schwarzen Hirsch» verschlagen hat. 

Der Dorffestsaal, den Kaspar Zwimpfer ins...