Der Gravitationsverstärker

In seinen Produktionen spielt der Künstler und Choreograf Yoann Bourgeois mit Schwer- und Fliehkraft. Mit „Requiem [Fragments]“ inszeniert er Mozart in metaphysischer Prägnanz: Tänzer:innen, Sänger:innen und eine mysteriöse Rampe erheben den freien Fall in den Stand der schönen Künste

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Sie stürzen sich senkrecht in die Tiefe, verschwinden manchmal in einem Loch im Boden oder schmiegen sich an die Fliehkraft, während sie auf einer Drehscheibe rotieren. Yoann Bourgeois macht Mozarts Requiem zu einem Resonanzkörper für gravitationelle und zentrifugale Mächte, für materielle menschliche Körper im Spiel der unsichtbaren physikalischen Kräfte.

Auf einer spärlich beleuchteten Bühne schafft er die Illusion von Menschen in freiem Fall, wenn die Tänzer:innen seiner Kompanie und sogar die Sänger:innen des Chors sich an einer sechs Meter hohen Rampe in die Tiefe stürzen oder – stets vergeblich – versuchen, an dieser in die Höhe zu klettern und die rettende Hand einer hoch oben auf einer Art Brüstung stehenden Person zu ergreifen.

Mit Mozart, dem Pariser Insula Orchestra und dem Chor Accentus verwandelte Bourgeois als erster Regisseur den Pariser Konzertsaal von La Seine Musicale, einer Schuhkasten-Philharmonie auf der Seguin-Insel in der Seine im Westen der Stadt (BTR-Sonderband 2017) in eine Bühnenlandschaft mit Blackbox-Charakter. Allein das ist bemerkenswert, denn während in einem Konzertsaal normalerweise alles sichtbar ist, versteckt Bourgeois seine Szenografie durch ...

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BTR Ausgabe 2 2024
Rubrik: Produktionen, Seite 24
von Thomas Hahn

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